JOURNALISMUS HEUTE …

ZEITDRUCK, ERFOLGSDRUCK, ABHÄNGIGKEITEN

TAGESAKTUELLE JOURNALISTISCHE BERICHTERSTATTUNG IST SCHWIERIG

Journalismus_heute_web Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten für Journalisten, um Material für eigene Artikel zusammenzutragen. Wer z.B. über eine Demonstration berichtet, tut gut daran vor Ort zu sein, um die Ereignisse mit eigenen Augen zu sehen. Sollte man zumindest meinen!

Aber was können Sie wirklich berichten, wenn Sie vor einem brennenden Haus stehen?

Im Grunde wissen Sie nichts oder nicht viel, über das, was sich in dem Haus zugetragen hat. Noch weniger wissen Sie über die Ursache, die zu dem Brand geführt hat, selbst dann, wenn Sie einen Feuerwehrmann oder sogenannte Augenzeugen befragen.

Nicht selten lassen sich die Ursachen für einen Brand erst nach Wochen mit Sicherheit sagen. Auch die Frage, ob und ggf. wie viele Opfer es gegeben hat, lässt sich in der Regel nie sofort beantworten.
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TAGESAKTUELLE JOURNALISTISCHE BERICHTERSTATTUNG IST NOTWENDIG

Aktuelle Berichterstattung ist also immer mit Unsicherheiten verbunden, die aus einer unzureichenden Informationslage resultieren. Auch wenn man sich noch so viel Mühe gibt, resultiert allein aus dem Zeitdruck, in dem Meldungen häufig produziert werden müssen, ein erhebliches Fehlerpotential.

Trotz dieses grundsätzlichen Problems, mit der tagesaktuelle Berichterstattung konfrontiert ist, bleibt sie natürlich notwendig. Nachteile für die Leserinnen und Leser können allerdings dann auftreten, wenn sich viele Journalisten auf die gleichen Quellen beziehen und/oder sogar Aussagen anderer Kollegen ungeprüft übernehmen.

Wer mit journalistischer Arbeit seinen Lebensunterhalt verdient, muss schnell sein. Damit steht der Journalist unter permanentem Zeitdruck. Hinzu kommen, dass man nicht selten mit seinen Berichten Erwartungen erfüllen muss, die entweder von Seiten seiner Arbeitgeber oder von einflussreichen Interessengruppen vorgegeben werden.
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DIE EINHEITSMEINUNG – ODER: NUR KEINE FEHLER MACHEN

Nicht selten kann man beobachten, dass Meldungen zunächst nur an einer Stelle auftreten und wenig später von anderen Medien übernommen werden. In der ehemaligen DDR gab es dafür einen sehr schönen Satz: >>Wir hatten einen Meinungsaustausch.<< Und dann folgte die Erklärung: >>Ich habe meinem Chef meine Meinung gesagt, dann hat mir mein Chef seine Meinung gesagt und dann habe ich seine Meinung übernommen.<<

Diese ironische Beschreibung machen sich heute offensichtlich auch viele Journalisten zum Grundsatz. Nur mit dem Unterschied, dass sie sich oft gar nicht erst eine eigene Meinung bilden. Nichts könnte der eigenen Karriere so gefährlich werden, wie ein Fehler. Konsequenz: was mehrere Kollegen schon veröffentlicht haben, kann wohl so falsch nicht sein. Also orientiere ich mich bei meinen eigenen Artikeln an der veröffentlichten Meinung. Dann dürfte eigentlich nichts schief gehen!

Wiederholt sich dieser Prozess über mehrere Tage oder gar Wochen, so verfestigt sich eine bestimmte Nachrichtenlage. Alle zusätzlichen Informationen, die die bestehende Nachrichtenlage unterstützten, werden bereitwillig aufgenommen und weiter verbreitetet. Gegenteilige Informationen oder Meinungen werden dagegen sehr schnell beiseite geschoben, weil man ihnen jegliche Grundlage abspricht.
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ABWEICHENDE MEINUNG UNERWÜNSCHT – EIN AKTUELLES BEISPIEL

Ein aktuelles Beispiel von dieser Methode lieferte jüngst die Berichterstattung zu den politischen Entwicklungen in der Ukraine und auf der Krim. Natürlich waren sich alle westlichen Medien und Kommentatoren sehr schnell darin einig, dass das Vorgehen Russlands völkerrechtswidrig sei. Als jetzt der mittlerweile 95 Jahre alte Altbundeskanzler Helmut Schmidt Verständnis für die russische Handlungsweise äußerte, wusste der amtierende Regierungssprecher daraufhin nur eine lapidare Antwort: >>Dies sei die Meinung einer einzelnen Person und sei nicht Aufgabe der Regierung, eine solche Meinung zu kommentieren!<<

„Hallo“ möchte man ihm da entgegnen! Die Meinung eines allgedienten und hochgeschätzten deutschen Politiker muss man nicht kommentieren? Natürlich „muss“ man das nicht, aber wäre es nicht angemessen, dazu doch eine Stellungnahme abzugeben? Gerade weil Schmidt eine andere Sicht der Dinge liefert und damit der allgemeinen Nachrichtenlage und veröffentlichten Meinung diametral gegenübersteht! Wie hatten wir weiter oben festgestellt? Gegenteilige Informationen oder Meinungen werden sehr schnell beiseite geschoben und man spricht ihnen jegliche Grundlage ab.
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POSITIVE BERICHTERSTATTUNG ZAHLT SICH AUS

Kommen wir zu einem anderen Betätigungsfeld des Journalismus: Wirtschaftsnachrichten. Wer als Journalist für den Erfolg eines Unternehmens berichten will, wird nicht umhinkommen, sich zumindest teilweise auf Informationen des Unternehmens abzustützen. Aber wie weit sind diese Informationen tatsächlich richtig? Selbst ein ausführliches Interview mit dem Management des Unternehmens bietet im Grunde keinerlei Sicherheit, um verlässliche Aussagen zur Gegenwart, zur Zukunft sowie zu Strategie und Taktik machen zu können.

Denn der Erfolg von Unternehmen und von Personen resultiert letztlich daraus, dass sie nichts oder wenig – manchmal sogar bewusst das Falsche – über ihre Ziele, Pläne und Vorgehensweise preisgeben. Industrie- und Dienstleistungsunternehmen wünschen sich in den Medien positive Nachrichten, denn diese sind für ihre Existenz entscheidend. Und da gibt es ein probates Mittel, um die Berichterstattung im eigenen Sinne zu beeinflussen. Die Platzierung von Anzeigen wird vom Inhalt des redaktionellen Teiles der Zeitung abhängig gemacht.

Ein ähnliches Prinzip wird mittlerweile in der Politik angewendet. Der einzige Unterschied besteht darin, dass man in der Regel keine Anzeigen zu vergeben hat. Allerdings besitzt man einen anderen ebenso wirksamen Hebel. So werden auch in den Staaten Westeuropas immer wieder Fälle bekannt, in denen solche Medien die besseren (Hintergrund-)Informationen erhalten, die über ausgewählte politische Gruppen positiv berichten.
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INVESTIGATIVER JOURNALISMUS UND WIE ER VON POLITIKERN BEKÄMPFT WIRD

Doch zum Glück ist nicht die gesamte Berichterstattung in Deutschland und vielen anderen westlichen Staaten von den Mechanismen und Abhängigkeiten geprägt, die wir zuvor beschrieben haben. Hier ist an allererster Stelle an die Journalisten zu denken, deren Arbeit man heute mit dem schicken Ausdruck „investigativer Journalismus“ bezeichnet. Früher – als wir in Deutschland noch deutsche aussagekräftige deutsche Worte benutzt haben – nannte man das Enthüllungsjournalismus.

Wie wichtig solche journalistische Arbeit ist, haben gerade die letzen Monate deutlich gemacht. Wir denken dabei z.B. an die enormen Auswirkungen, die die Veröffentlichungen über die Erkenntnisse des US-amerikanischen Whistleblower`s Edward Snowden schon bisher gehabt haben. Und ein Ende ist noch nicht abzusehen.

Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch der Australier Julian Paul Assange mit seiner Internetplattform WikiLeaks, wo immer wieder geheime Dokumente ins Netz gestellt werden, die die US-Politik bloßstellen. So veröffentlichte der US-Soldat Bradley Manning dort geheime Dokumente über die US-Einsätze im Irak und in Afghanistan. Er wollte damit die amerikanische Öffentlichkeit auf das seiner Meinung nach „unmoralische Handeln“ seiner Regierung aufmerksam machen.

Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang auch Daniel Ellsberg, der bereits 1971 geheime Pentagon-Papiere an die Öffentlichkeit brachte und damit aufzeigte, wie mehrere amerikanische US-Regierungen die Öffentlichkeit über den Vietnamkrieg massiv getäuscht hatten.

Lange Zeit war man davon überzeugt, dass kritischer und unabhängiger Journalismus ein wesentliches Element der Demokratie sei und hat deshalb in vielen Verfassungen das Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit fest verankert. Um so erschreckender ist es, dass mittlerweile auch in westlichen Staaten immer mehr westliche Regierungen dem investigativen Journalismus und seinen Informanten den Boden massiv und nachhaltig entziehen möchten.

Dabei schrecken sie auch nicht davor zurück, diese Personen weltweit mit teilweise abstrusen Beschuldigungen zu jagen, als Verräter und Verbrecher zu bezeichnen und – sofern sie ihrer habhaft werden können – mit lebenslangen Haftstrafen zu beleben, wie die Beispiele des Wikileaks-Gründers Julian Paul Assange, des US-Soldaten Bradley Manning und Edward Snowden deutlich machen.
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MEHR ZUM THEMA WHISTLEBLOWER:
Wer sich ein erstes vertiefendes Bild zu diesem Themenkomplex verschaffen möchte, sollte dazu den Beitrag „Whistleblower“ in Wikipedia lesen.

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WIE WIR ARBEITEN
Sammeln, vergleichen, analysieren, kombinieren, Schlüsse ziehen
(folgt in Kürze)

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